Inhalt
Es ist nichts Neues mehr, dass japanische Gerichte trendy und immer mehr im Kommen sind. Sushi gibt es langsam gefĂŒhlt an jeder Ecke. Doch Sushi ist nicht alles, was Japan zu bieten hat. Es gibt da eine Mahlzeit, die sich bei Japankennern besonderer Beliebtheit erfreut und ihren verdienten Kultstatus innehat, sich international aber nur langsam verbreitet: die deftige Nudelsuppe Ramen.
Doch woher kommt dieses Ramen und wie entstand es? Ist es so traditionell, dass es bereits von Samurai schnabuliert wurde oder ist es doch eher ein Multikulti-Produkt aus der Moderne? Ăber den Ursprung und AnfĂ€nge der beliebten Nudelsuppe in Japan.
Die drei groĂen Entstehungsgeschichten
Mahlzeiten sind keine exakte Wissenschaften. Das gilt fĂŒr die Rezepte ebenso wie fĂŒr deren UrsprĂŒnge — die Ramen-Nudelsuppe stellt hier keine Ausnahme dar. Das fĂŒhrt dazu, dass es fĂŒr Ramen drei groĂe Herkunftsgeschichten gibt. Unbestritten ist, dass Ramen starke chinesische Wurzeln hat, was sich auch in jeder Geschichte wiederspiegelt.
Exkurs: Nudelvarianten in Japan
Soba: Nudeln aus Buchweizen mit nussigen Geschmack. Sehen etwas aus wie Spaghetti.
Udon: Dicke und fleischige Nudeln aus Weizenmehl.
Ramen: Ebenfalls aus Weizenmehl, aber dĂŒnner und knackiger als Udon-Nudeln.
Ramen umfasst auch Chuka-Soba, in denen man statt den Weizenmehl-Nudeln die Soba-Nudeln aus Buchweizen vorfindet.
1) Ć«shin udon äșèŸăă©ă — Die Ă€lteste Geschichte des Lebensmittelhistorikers Kosuge Keiko datiert die Entstehung auf etwa 1665, bedingt durch ein Zusammenwirken zwischen dem Daimyo Tokugawa Mitsukuni und des chinesischen Gelehrten und politischen FlĂŒchtlings namens Zhu Shunsui, sesshaft in der Stadt Mito. Beim Verzehr der damals gĂ€ngigen Udon-Nudelsuppe schlug Zhu dem Daimyo fĂŒnf Zutaten chinesischer Nudelsuppen (Ć«shin) vor zur Verbesserung des Geschmacks Die von Zhu vorgeschlagenen Zutaten sind zwar nicht bekannt, aber man vermutet, dass es die Zutaten sind, die heute in der Stadt Mito in der Ibaraki-PrĂ€fektur als Mitohan-Ramen serviert werden: chinesische Zwiebeln, Knoblauch, Knoblauchzehen, FrĂŒhlingszwiebeln und Ingwer. Geboren waren die Ushin-Udon, der vermeintliche VorlĂ€ufer der heutigen Ramen?
2) nankin soba ćäșŹèéșŠ — Die zweite Entstehungsgeschichte verortet den Ursprung im 19. Jahrhundert als Folge der erzwungene Ăffnung Japans durch Amerika. Durch den Druck der schwarzen Schiffe unter Befehl des Seeoffiziers Matthew Perry musste Japan gröĂere EinflĂŒsse aus dem Ausland akzeptieren, die bald auch regelrecht von der japanischen Elite aufgesogen wurden. Ein Aspekt davon war die Integration westlicher Lebensmittel in japanische KĂŒchen. Besonders die gröĂere VerfĂŒgbarkeit der typischen Ramen-Zutaten, besonders Schweinefleisch und Weizen, ging Hand in Hand mit der erzwungenen Ăffnungs.
Neben EuropĂ€ern migrierten in dieser Zeit auch viele chinesische HĂ€ndler nach Japan, die entsprechend ihre eigene Esskultur mitbrachten, besonders Nudelsuppen chinesischer Art. Die Japaner nannten diese Nudelsuppen Nankin-Soba, benannt nach der chinesischen Stadt Nanjing. Diese Nankin-Soba waren vergleichbar mit dem heutigen “Salz-Ramen” (shio ramen 楩ă©ăŒăĄăł), allerdings ohne Toppings und sie wurden auch zum Ende einer Mahlzeit serviert, nicht als Hauptmahlzeit. Der Verzehr beschrĂ€nkte sich zunĂ€chst nur auf die chinesischen Viertel in Yokohama, Kobe, Nagasaki und Hakodate. Erst mit Lockerungen bei den ReisebeschrĂ€nkungen fĂŒr AuslĂ€nder 1899 konnten chinesische Restaurants auch auĂerhalb chinesischer Viertel entstehen und sich damit eine japanische Kundschaft erschlieĂen.
Ob diese auf HĂŒhnebrĂŒhe basierenden Nankin-Soba ohne Toppings aber wirklich der VorlĂ€ufer der heutigen Ramen sind, ist Stoff fĂŒr zahlreiche Diskussionen.
3) shina soba æŻéŁèéșŠ — Die dritte Entstehungsgeschichte handelt ĂŒber das Restaurant Rairaiken, dem ersten chinesischen Restaurant im Besitz und betrieben von einem Japaner. 1910 eröffnete Ozaki Kenichi sein Restaurant Rairaiken im Asakusa-Viertel in Tokyo, damals vor allem ein Viertel der Lohnarbeiter und nicht der Touristen wie heute. Rairaiken servierte auf SoyasauĂe basierte Nudelsuppe mit gebratenen Schweinefleisch (Chashu), Fischmehlkuchen (naruto), gekochten Spinat und den Nori-Meeresalgen — das heutige Tokyo-Ramen. Das Restaurant wurde schnell bekannt fĂŒr seine schnell zubereiteten, gĂŒnstigen und leckeren Shina-Soba sowie weitere, an den japanischen Geschmack angepassten chinesisches Mahlzeiten.
Der Aufstieg der Ramen-Nudelsuppe
Die zuvor erwĂ€hnten Entstehungsgeschichten drehen sich vor allem um einen Aspekt eines Handeskreislaufs, dem des Angebots oder wie chinesische Migranten ihre Mahlzeiten nach Japan mitgebracht haben. FĂŒr den Durchbruch der Ramen-Nudelsuppe in Japan bedarf es aber auch des zweiten Aspekts, nĂ€mlich der Nachfrage — die lokale Kundschaft, die aufgrund von Anreizen genĂŒgend Ramen verspeist, um es erfolgreich in der japanischen KĂŒche zu etablieren.
Mit der Industrialisierung Japans stieg der Bedarf an Arbeitern in StĂ€dten und Industriezentren. Der Sieg im Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg 1894-95 fĂŒhrte zu einem Anstieg industrieller AktivitĂ€ten und damit einhergehend auch eine gröĂere Basis an ArbeitskrĂ€ften in den StĂ€dten, die natĂŒrlich mit Essen versorgt werden musste. WĂ€hrend Jobs u.a. in den Bereichen Bergbau, Produktion- und Baugewerbe in die Höhe schossen, stagnierte die Anzahl an BeschĂ€ftigten im Agrarsektor. Diese Verteilung wirkte sich erheblich auf die Produktion und Konsum von Nahrungsmitteln in Japan aus. Die industrielle Lebensmittelherstellung wurde zu einem der groĂen Wirtschaftszweige Japans.
Mit dem Anstieg von Lohnarbeitern in den StĂ€dten stieg auch der Bedarf an Restaurants und Imbissen in den 1890er-Jahren, besonders in den Arbeitervierteln Asakusa und Ueno in Tokyo. Der Erste Weltkrieg fĂŒhrte zu einem erneuten Schub in der Industrialisierung, die bereits seit drei Jahrzehnten am Laufen war und nun auch einen Boom fĂŒr Export auslöste. In dieser Zeit stieĂen die Arbeiter auf StraĂenimbisse und chinesische Restaurants, die Shina-Soba servierten. Um 1920 haben sich diese Shina-Soba bereits als gĂŒnstige, schnelle und vor allem sattmachende Mahlzeit etabliert.
Shina-Soba war damit aber nicht mehr nur ein kulinarischer Exot wie die Nankin-Soba, die von nur wenigen Japanern in HandelshĂ€fen konsumiert wurden, sondern wurde immer mehr ein fester Bestandteil im Leben der japanischen Arbeiterschaft. Es musste nur einmal am Tag die Basissuppe und die WĂŒrzung vorbereitet werden, auf Bedarf wurden dann die Nudeln gekocht. Nach der Bestellung musste der Kunde daher nur wenige Minuten warten, bis die Mahlzeit serviert wurde. Ein groĂer Vorteil, wenn die Zielgruppe hungrige und erschöpfte Arbeiter sind, die es im modernen Leben meist auch eilig haben. Die Shina-Soba als erschwingliche und deftige Mahlzeit, die sich vor allem in Tokyo schnell verbreitete.
Allerdings hatten die Shina-Soba einen bitteren Beigeschmack: auch wenn sie durch ihre ihre Zutaten — vor allem Fleisch — und dem schnellen Konsum hervorragend zum Leben der Arbeiter gepasst haben, war der gesellschaftliche Status dieser Mahlzeit zunĂ€chst sehr niedrig. Ein typisches Arbeiteressen, importiert aus dem im Krieg unterlegenen China (das japanische Shina ist kein schmeichelndes Wort), im Gegensatz zu Brot und Kuchen aus dem vermeintlich ĂŒberlegenen Westen.
In den 1920er-Jahren verĂ€nderte sich der Konsum der Shina-Soba allmĂ€hlich, insbesondere wo man die Nudelsuppe essen konnte. Neben China-Restaurants und ImbisswĂ€gen waren das — so seltsam es sich anhören mag — vor allem auch CafĂ©s und westliche Restaurants. Insbesondere in Sapporo tauchten in den 1930er-Jahren Shina-Soba in CafĂ©s auf der Speisekarte auf und wurde nicht als Shina-Soba, sondern als Ramen verkauft. Das Wort rÄmen ă©ăŒăĄăł leitet sich aus dem chinesischen rÄ fĂŒr “ziehen” und dem japanischen men éșș fĂŒr Nudeln aus Weizenmehl ab — langgezogene Nudeln aus Weizenmehl.
Eine weitere wichtige Verkaufsstelle wurden Restaurants in den groĂen, neuen KaufhĂ€usern in den 1920-30ern, die vor allem von der Mittelschicht besucht wurden. Diese Restaurants standen sinnbildlich fĂŒr die Zukunft nicht nur wegen ihrer multikulturellen Speisekarte, sondern auch fĂŒr alles, was im Hintergrund passierte: neue Technologien, Management, Hygiene und Geschwindigkeit.
Die Akzeptanz westlicher und chinesischer Mahlzeiten resultierte nicht nur aus deren Schmackhaftigkeit, sondern auch, weil sie als besonders nahrhaft im Vergleich zu traditionellen japanischen Mahlzeiten wahrgenommen wurden. Das lag an den Zutaten, die in der heimischen KĂŒche bisher wenig verbreitet waren: Fleisch, Ăl, Fett und GewĂŒrze.
Die Grundlagen fĂŒr den Siegeszug der Ramen-Nudelsuppe waren gelegt.
TL;DR
too long; didn’t read
Warum setzte sich Ramen ab den 1890er- bis in die 1930er-Jahren mehr und mehr durch?
- Bedingt durch die Industrialisierung…
- …Lebensmittelherstellung im industriellen MaĂstab
- âŠstagnierende BeschĂ€ftigungszahl im Agrarsektor
- …Massenmigration in die StĂ€dte, Landflucht
- …notwendige Verpflegung einer immer gröĂeren Arbeitschaft in den StĂ€dten
- Ramen als deftige, aber schnelle und gĂŒnstige Mahlzeit
- Von der Arbeiterschicht ĂŒber KaufhĂ€user zur Mittelschicht
- Wurde als nahrhafter wahrgenommen gegenĂŒber der heimischen KĂŒche
Buchempfehlung: The Untold History of Ramen
Dieser Artikel basiert auf dem Buch “The Untold History of Ramen°” von George Solt, einem umfassenden Werk ĂŒber Ramen von dessen Entstehung bis heute. Wer sein Detailwissen ĂŒber Ramen noch mehr vertiefen möchte, sollte sich dieses Buch unbedingt zulegen!
A rich, salty, and steaming bowl of noodle soup, ramen has become an international symbol of the cultural prowess of Japanese cuisine. In this highly original account of geopolitics and industrialization in Japan, George Solt traces the meteoric rise of ramen from humble fuel for the working poor to international icon of Japanese culture.
A rich, salty, and steaming bowl of noodle soup, ramen has become an international symbol of the cultural prowess of Japanese cuisine. In this highly original account of geopolitics and industriali...
Day in the Life of a Japanese Ramen Chef
In Japans erster Gin-Destillerie in Kyoto produziert, wird dieser Gin von seiner Herkunft und der stolzen Geschichte inspiriert. Der KI NO BI Dry Gin ist ein mehrfach preisgekrönter hochwertiger Reisschnaps. Er ist Konwa-gemischt, besteht aus natürlichen japanischen Pflanzen und ist nicht kältegefiltert. Der Gin entfaltet einen frischen Duft von Yuzu und ein Hauch von Sansho-Pfef...
In Japans erster Gin-Destillerie in Kyoto produziert, wird dieser Gin von seiner Herkunft und der stolzen Geschichte inspiriert. Der KI NO BI Dry Gin ist ein mehrfach preisgekrönter hochwertig...
Jakyo-Bewertung
JAKYO
5
von 5
Ramen
Ramen - die vermutlich beste Nudelsuppe der Welt. Deftig und schmackhaft, macht satt und kostet nicht viel. Zumindest in Japan. Weltweite Verbreitung erwĂŒnscht!
Jakyo-Infos
Ăbersicht
Gebrauchsname: rÄmen èȘ