Inhalt
Ursprünglich erschien die Erzählung über meine Teilnahme am Sommer-Trainingscamp August 2009 des Kenrenkai auf einem befreundeten Kendoblog. Leider wurden die Beiträge zwischenzeitlich gelöscht, daher bleibt mir an dieser Stelle leider nur eine Nacherzählung vom Mai 2021 aus dem Gedächtnis mit Hilfe der damals geschossenen Bilder — mit entsprechenden Lücken im Detail :-(
Originaltitel: “Erzählungen über das Trainingscamp im Kendozirkel vom August 2009”
Vorbemerkungen
Im japanischen Studentenleben, welches sich vor allem in den Clubs und Zirkeln abspielt, gibt es ein Event im Jahr, auf das sich alle diebisch freuen: das Sommer-Camp! Im Kendo gibt es oft noch im Frühjahr ein Trainingscamp, aber den Beliebtheitswettbewerb gewinnt eindeutig das Sommer-Trainingslager, wenn auch nicht unbedingt aus Trainingsgründen. Als es Zeit für die Anmeldung wurde, bin ich auch gleich gefragt worden, ob ich teilnehme. Doch auch wenn ich mit einigen Kendoka aus dem Zirkel zu dieser Zeit bereits länger befreundet war, war die Überraschung dennoch groß, als ich meine Teilnahme zusagte. Denn 2009 waren 1) Ausländer im Kendotraining in Japan generell selten und 2) deren Teilnahme am sozialen Leben oder gar dem Trainingscamp eines Kendovereins ein echte Rarität. Im Kenrenkai war meine Teilnahme sogar die Premiere. Zwischen Anmeldung und dem Camp an sich versicherte mir der Kaicho auch immer wieder (ungefragt) “sukoshi keiko dake!” — “Nur ein bisschen Training!”. Zwar gab es vormittag bis nachmittag Training, aber vor allem auf die Allnighter-Parties freute man sich.
Ablauf
- 17. August – Tag 1
- 9:30 Uhr: Abfahrt vom Westtor Imadegawa-Campus.
- 14 Uhr: Ankunft an der Tottori-Düne.
- ?? Uhr: Ankunft im Ryokan.
- 18 Uhr: BBQ
- 20 Uhr: Minifeuerwerk
- 21 Uhr: Trinknacht #1 (hart), Studenten aufgeteilt in Gruppen, jeder Raum anderes Trinkspiel, bis 4 Uhr morgens
- 18. August – Tag 2
- Training
- 18:30 Uhr: Abendessen in der Herberge
- Abendprogramm: Spieleabend mit Gruppen Tisch vs Tisch
- Trinknacht (gemäßigt) bis halb 4 Uhr morgens
- 19. August – Tag 3
- Training
- 20 Uhr: Geselliges Beisammensein im Hauptraum
- 21 Uhr: Theaterstück der jüngeren Studenten bis etwa 22 Uhr
- ???
- 20. August – Tag 4
- Abschlusstraining mit Turnier
- 18:30 Uhr: Ankunft Westtor Imadegawa-Campus.
Tag 1 – Anreise, Wüste, Anreise, BBQ, Trinknacht
Der große Tag ist gekommen! Am 17. August stand der Aufbruch zum Natsu-Gasshuku (Sommer-Trainingscamp) des Kenrenkai-Kendozirkels an! Die Studenten versammelten sich am Westtor des Imadegawa-Campus mit ihren Reise- und Kendotaschen, ebenfalls gab es einen großen Berg an “Proviant” und was man alles für ein Trainingscamp so braucht. Als der Reisebus kamen, wurde alles eingeladen und die Studenten stiegen ein. Die Sitze im Bus wurden aber nicht zufällig verteilt. Den ersten Block vorne übernahmen die Drittjahresstudenten, gefolgt von den Zweit- und Erstjahresstudenten, während die Viertjahresstudenten ganz hinten Platz nehmen mussten. Als ich hinten ankam, bemerkte ich, wie mich ein mir völlig unbekannter Viertjahresstudent zu sich winkte, um neben ihm Platz nehmen. Ich habe ihn vorher nie im Training oder auf Events gesehen. Er war wohl vor allem daran interessiert, den einzigen Ausländer kennenzulernen und wir sprachen die ganze Busfahrt lang miteinander. Der Bus setzte sich schließlich gegen halb 10 in Bewegung und es dauerte nicht lange, bis der erste Proviant gereicht wurde: Dosen mit Alcopops. Unterwegs gab es einen Halt an einer Highway-Raststätte, an der ich einem Dialog zwischen Numa-kun und Oka-chan lauschen konnte, der mir klarmachte, dass Lehnwörter in Katakana keineswegs einheitlich bekannt sind (ゴム vs コンドム).
Im Vorfeld des Camps hatte ich nicht wirklich Ahnung, was mich großartig erwartet und wie der Ablauf überhaupt aussah. Ich war daher etwas überrascht, dass es nicht direkt zum Ryokan ging, sondern zunächst zur Sanddüne in der Tottori-Präfektur — der einzigen größeren Sanddüne in Japan, die auch recht beachtlich ist. Wo ich dann auch das erste Kamel in Japan gesehen habe. Über eine Seilbahn ging es zur Düne selbst, wo die wir erstmal einen großen Sandberg überwinden mussten, bevor wir uns etwas (zumindest die Füße) am Meer abkühlen konnten. Denn es war nach wie vor Hochsommer. Entsprechend dauerte der Besuch hier auch keine Ewigkeit.
Im Ryokan angekommen wurde ich Zeuge eines interessanten Schauspiels. Die Inhaberin des Ryokan war eine resolute ältere Dame. Alle Mitglieder stellten sich im Eingangsbereich um die Inhaberin auf, um ihr gemeinsam ein kraftvolles “yoroshiku onegaishimasu!” als Begrüßung entgegen zu schmettern. Am Ende des Camps sollte sich das wiederholen, nur mit einem “oseiwa ni narimashita!” zur Verabschiedung. Der Reisebus wurde ausgeladen und die Zimmer bezogen. Für die Herren aus dem dritten und vierten Jahr gab ein kleineres und ein größeres Zimmer. Das kleinere Zimmer beschlagnahmten wenig überraschend ein paar Viertjahresstudenten für sich, während die restlichen Drittjahres- und Viertjahresstudenten sich den größeren Raum teilten — in den auch ich einzog. Die Grenzen dieser zwei Zimmer waren aber sowieso jede Nacht recht schwammig und viel geschlafen wurde letztendlich eh nicht. Bemerkenswert war jedoch, wie schnell sich die Zimmer in ein durchgehendes Meer aus Futon-Schlafzeug verwandelte und auch durchgängig so blieb. Danach ging es verteilt auf mehrere Kleinbusse zu einer BBQ-Location, wo wir uns alle genüßlich über das mitgebrachte Grillgut hermachten.
Zurück im Ryokan wurde selbiges bereits für die Nacht und das erste Spiel vorbereitet. An der Wand hinten Zettel, die alle Mitglieder in Teams aufteilten. In diesen Teams wurden dann verschiedene Zimmer besucht und dort Minispiele absolviert, sprich Trinkspiele. Die Leiterin eines solcher Spiele war die Schnapsdrossel Takagi-chan und das Spiel bestand darin, sich zu unterhalten, aber ohne dabei Katakana-Wörter zu verwenden. Wer ein Katakana-Wort benutzte, musste trinken. Mir fiel das relativ leicht, da ich ohnehin noch viel nachdenken musste beim Sprechen und deswegen Katakana leicht vermeiden konnte. Ständig am trinken hingegen war die Spielleiterin Takagi-chan selbst, da sie neben einer Schnapsdrossel noch eine krasse Labertasche war und vom Sprachfluss her ein Wasserfall war statt einer nachdenkenden Grüblerin — erschwerend kam hinzu, dass Katakana-Wörter unter jungen Leuten in Mode ist und daher auch gerne benutzt wurden. Für Takagi hieß das: ein Glas nach dem anderen. Nachdem alle Stationen absolviert wurden, war der Abend aber noch lange nicht vorbei — mindestens bis vier Uhr morgens zog sich das gesellige Beisammensein hin, wie übrigens auch in jeder folgenden Nacht.
Tag 2 – Training, Onsen, Gruppenspiel, Trinknacht
Leider muss ich zugeben, dass ich mich bis auf die letzte Trainingseinheit nicht mehr an das Training im Detail erinnern kann. Wie jeden morgen zogen wir uns direkt Hakama und Gi an, putzten uns die Zähne und stiegen in die Kleinbusse ein, die uns zur Trainingshalle brachten, die etwa 15 Minuten entfern lag. Die Halle stand auf offenen Feld, die Sonne knallte, es war einfach nur heiß. Die seitlichen Hallentüren brachten zwar einen guten Luftaustausch, aber heiße Luft ist und bleibt heiße Luft, egal wie frisch. Mittags gab es ein Bento, bevor es noch eine weitere Nachmittagseinheit gab und wir schließlich wieder zum Ryokan zurückkehrten.
Und nun das Fantastische: der Ryokan hatte einen Onsen! Direkt bei der Rückkehr hieß es jedoch erstmal, dass der Onsen noch nicht geöffnet sei und wir noch zwei Stunden warten mussten. Entweder war das eine pure Falschmeldung oder es war dem Viertjahresstudenten Kosugi-kun verdammt egal, denn er machte sich trotzdem kurzerhand auf, es sich im Onsen gemütlich zu machen und ich tat es ihm gleich. Es dauerte keine 15 Minuten, bis auch die ersten Kohai eintrafen und ziemlich überrascht waren, nicht die Ersten zu sein.